26.05.2014 - Die Erosion des Sozialstaates und seine überragende Bedeutung für die Gesellschaft der BRD
Soziale Gerechtigkeit ist nicht allein eine Frage gesellschaftlicher Tatsachen und politischer Erfordernisse, sondern auch eine Frage nach den Normen, die den Sozialstaat voraussetzen um die Bedeutung der gesellschaftlichen Verhältnisse als gerecht oder ungerecht bewerten zu können.
Das Gerechtigkeitsverständnis, im Wesentlichen in der Aufbauphase im Sozialstaat der BRD gewachsen, beruht nicht in einem geschlossenen System sondern ist offen für sozial relevante, politische Gestaltungsspielräume und deren Verwirklichung in Theorie und Praxis. Es entspricht auch den besonderen ökonomischen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen der kapitalistischen Länder.
Weil für die Aufbauphase der BRD eine große Prosperitätsphase mit großem sozialem Ausgleich sich ausbalancierte, kann diesbezüglich auch von einem sozialstaatlich regulierten Kapitalismus gesprochen werden, was gemeinhin auch als“ soziale Marktwirtschaft“ bezeichnet werden kann.
Heute streitet man um die neue kapitalistische Weltordnung, die neue soziale Marktwirtschaft und den „dritten Weg“, was nur in die Irre führt, denn die Idee der sozialen Gerechtigkeit, auch als Verteilungsgerechtigkeit, Chancengleichheit und der notwendigen individuellen Eigenverantwortung, ebenso Teilhabegerechtigkeit und Generationengerechtigkeit, sind nur begriffliche Fehlinterpretationen ein und derselben Sache, die da heißt“ Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes“ der BRD. Und ursächlich in diesem Zusammenhang ist eine neue weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise in ihrer Unübersichtlichkeit. Und auch die Euro-Staatsschuldenkrise hat gezeigt, dass die Staaten nicht mehr stark genug sind ordnend und steuernd in die Finanzmärkte und in das ökonomische Geschehen einzugreifen - außer man macht Schulden.
Strukturwandel, Globalisierung und Individualisierung sind ungebrochen und der Finanzmarktkapitalismus hält sich nur noch mit Schuldenmachen und Krediten am Leben.
Der Schuldenberg wird immer größer und so kann Deutschland sich nur noch, auch sozialpolitisch, in ein Meer von Abenteuern von Anleihen, „Verschuldungsscheinen“ etc. begeben um seiner Staatstätigkeit nachzukommen
Die Frage, die sich die Regierenden offensichtlich nie gestellt haben, ist die nach der Belastung der nachfolgenden Generationen, die den Schuldenberg abzutragen haben.
Betrachten wir die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit als eine Tatsache, dann werden gesellschaftliche Zustände und Entwicklungen, aber auch sozial- und wirtschaftspolitische Programme und Projekte, immer auch unter diesem Aspekt gesehen.
So sind die üblichen Herausforderungen die nach der Verteilung von Einkommen und Vermögen, wie verbreitet Armut ist und wie sie sich entwickelt, welche Bildungs- und Aufstiegschancen bestehen und welche Personengruppen durch bestimmte sozialpolitische Maßnahmen begünstigt oder belastet werden.
Einkommensverteilung, Armut, Reichtum, Bildungschancen, Vermögenskonzentration und Gleichstellung bzw. Ungleichbehandlung der Geschlechter, Zugang zu medizinischen Leistungen, Niedriglöhne und prekäre Beschäftigung finden jeweils ihren Niederschlag in politischen Programmen aller etablierten Parteien und vielverheißenden Versprechungen.
Zeitnah werden immer neue statistische Befunde erhoben, die eigentlich in zukunftsweisenden Erklärungen und Bewertungen von Sozialforschern den üblicherweise zitierten „Weisen“ der Wirtschaft usw. ihren Niederschlag finden müssten.
Geschichtswissenschaft könnte ihren Beitrag dazu leisten.
Es geht bei der Frage um soziale Gerechtigkeit zuerst auch um Fragen und Werturteile, die in den Bereich der philosophischen Ethik oder politischen Philosophie gehören.
Wie hoch zum Beispiel der Einkommensunterschied zwischen den Arbeitern und den Spitzenmanagern sein darf, lässt sich zahlenmäßig feststellen. Ob aber die ermittelte Einkommensdifferenz gerecht oder ungerecht ist und anhand welcher Kriterien darüber hinaus entschieden werden soll oder muss, das ist damit noch keineswegs gesagt. Das eröffnet den „gestalterischen Spielraum“ der politischen Akteure und ist somit entsprechend den sozialpolitischen Vorgaben zu bewältigen und zu meistern.
Ob und in welcher Hinsicht eine gerechte Ordnung der Gesellschaft soziale Gleichheit verlangt oder im Gegenteil auch Ungleichheit zugelassen werden muss, ist in der mehr als 2000jährigen Geschichte der Philosophie, immer Streitthema und Streitgegenstand gewesen. (Von Platon bis Karl Marx)
Reformen größeren Ausmaßes kamen in den letzten Jahren der Regierung, z.B. unter Kohl, nicht zu Stande. Wohl aber in der Zeit der rot-grünen Regierung unter Bundeskanzler Schröder, der unter dem Obertitel“ Agenda 2010“ einschneidende Arbeitsmarkt- und Rentenreformen beschlossen hat. Statt Kapitalmacht einzugrenzen setzte man auf Deregulierung, Privatisierung und marktwirtschaftliche Lösungen (Stichworte wie Verteilungsgerechtigkeit zu Gunsten von Leistungsgerechtigkeit müssen hier genügen)
Es bleibt auch heute noch die Frage nach der Bezahlbarkeit dieses politischen Aktionismus, auch unter dem Aspekt vom notwendigen Fortschreiten des Sozialstaates und der Solidarität aller in der Gemeinschaft, denn einen politischen oder auch sozialpolitischen Stillstand gibt es nichts.
Kinderarmut, ungerechte Verteilung von Bildungschancen für Kinder, Arbeitsmarktreformen und Hartz IV-Gesetze, die drohende oder bereits vorhandene Zweiklassenmedizin, die Entstehung eines Prekariats, die Höhe der Managergehälter, Abfindungen und Bonuszahlungen an Investmentbanker, Kosten der Bankenrettung, Steuerflucht und Steuerhinterziehung, eventuelle Steuererhöhungen Neugestaltung des Erbrechts sind die Wegmarken der Zukunft und treffen wieder auf die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit und des Sozialstaates, der die politischen Akteure zum Handeln verpflichtet und zu gestalten aufruft.
Doch die Frage, die sich offenbar niemand stellt ist die nach der Dauerbelastung für den Staatshaushalt, der auch seine Wirkung für die Zukunft entfaltet.
Politisch überlegtes Handeln und Eindämmen der Sozialausgaben, an Wesentlichkeitskriterien ausgerichtet, sind ein erster Weg um noch mehr an Staatlichkeit zu begrenzen.
Leserbrief von Friedrich E. Müller, Simbach
26.05.2014
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